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Freitag, den 29. April 2011 – Julia

Meine Freude ging fast bis zu einem lauten Lachen. Mir gefällt es gut, mich ganz alleine auf den Weg zu machen. Mich muss niemand bringen. Das war schon immer so. Genau wie das niemals zu Hause melden seit der Grundschule. Warum auch? Wenn alles gut ist erzählt man seine Erlebnisse lieber persönlich nach der Abwesenheit. Wenn was passiert ist oder es nicht gut geht, dann sollte man die Daheimgebliebenen lieber nicht beunruhigen. Sie können aus der Ferne ja meistens sowieso nichts tun. So handhabe ich das und allen anderen habe ich das auch schon so angewöhnt.

Der Flug verlief planmäßig. Ausnahmsweise waren viele Deutsche im Flugzeug. Gefiel mir ja nicht so gut. Im Ausland gehe ich Deutschen oft aus dem Weg. Zuerst war es wegen der Sprache. Mittlerweile kann ich sie einfach nicht mehr ertragen. Den genauen Grund habe ich noch nicht herausgefunden. Vielleicht, weil sich in anderer Umgebung ihr Verhalten von denen der Einheimischen und anderer Kulturen so klar abhebt, für mich negativ wird und ich aufgrund ihrer deutschen Herkunft sofort einschätzen kann, was sie für Typen sind. Vielleicht weil mir gerade immer genau diese Typen nicht gefallen, da sie meist vermeintlich wichtige Geschäftsleute sind. Vielleicht weil sich widerspiegelt, was mir in meinem eigenen Verhalten und der deutschen Heimatumgebung nicht gefällt. Und wahrscheinlich auch, weil sich die eigene Originalität  durch sie vermindert. Die Landung war sehr rucklig. Beim Einsteigen hatte ich gehört wie der Pilot jemandem erklärte wofür die Knöpfe seien und wann man was drücken müsse. Dieses Wissen habe ich lieber für mich behalten als die anderen Fluggäste sich an ihren Sitzen festklammerten. Kurz vor uns ist ausgerechnet eine Maschine aus Aserbaidschan gelandet. Das hat die Passkontrolle noch länger dauern lassen als sonst. Seit sich für Moskau die Aufenthaltsrechte verändert haben und keine Erlaubnis mehr nötig ist um in der Hauptstadt zu wohnen, strömen Menschen aus den ehemaligen UdSSR-Staaten herbei um Arbeit zu finden. Sie landen dann im Straßenreinigungsdienst (der hier übrigens sehr gut funktioniert) und ähnlichen Tätigkeiten. So halten sich täglich etwa 20 Millionen Menschen im Moskauer Gebiet auf. Nur etwa 12 Millionen davon sind offiziell erfasst. Zugezogene Studenten werden beispielsweise gar nicht registriert und haben Stimmrecht daher auch nur in ihrem Heimatort. Dies hat zur Folge, dass sie gar nicht wählen, denn wer fährt deshalb schon tagelang mit Bus und Bahn. Außerdem tun sich viele das tägliche Pendeln nach Moskau und aus ihr hinaus an. Jeden Tag am späten Morgen (in Moskau beginnt der Arbeitstag erst gegen 10, da mit der Börse und den Geschäften auf Westeuropa gewartet wird) und am Abend steht die Stadt für ein paar Stunden. In kurzer Zeit konnten sich immer mehr Moskauer ein Auto – oder besser gesagt Autos – leisten. Die Straßen und Parkplätze sind darauf nicht ausgelegt. Auch auf die Maße der Autos nicht. In Russland steht man auf riesige Geländewagen und Limousinen und je größer die Maschine, desto mehr Rechte im Straßenverkehr. Vorletztes Jahr erlebte ich eine Situation, als mal wieder alle Richtungen gleichzeitig auf eine Kreuzung gefahren waren und mittendrin aufgebracht ein Mann ausstieg und sein Jacket lüftete, um zu zeigen, dass er dort eine Waffe hatte. Ich weiß nicht was er sich davon versprach, finde es aber dennoch erschreckend, häufig Waffen im Alltag zu sehen. Besonders dort, wo viel getrunken wird. Die berühmten Blaulichter auf den BMW`s gibt es übrigens wirklich. Ich wohne auf der Insel mit Blick auf den Kreml und mein Schüler weist mich ständig stolz darauf hin, dass Putin vorbeiführe. Man könnte den vielen Autofahrern ja sagen, dass sie auf die Metro umsteigen sollten, wenn die nicht auch schon am Limit wäre. Mehr Menschen kann diese Stadt trotz ihrer schon gigantischen Ausmaße nicht aufnehmen. Manchmal sehnt man sich nach Einsamkeit an einem unbewohnten Ort. Die Welt ist so voll. Ich hoffe ich werde mir während ich hier bin noch die Zeit nehmen und gen Osten reisen. Nicht nach China versteht sich, das ständig versucht dem hartnäckigen Russland ein Teil seines Landes abzugewinnen, sondern Richtung Sibirien. Die Chinesen sind hier selbstverständlich auch schon omnipräsent, besonders in der Uni. Sie reisen als Studenten ein, fallen durch alle Prüfungen oder lassen sich erst gar nicht blicken. Sie feiern und geben das Geld ihrer reichen Eltern aus. Manche schaffen es hier vor der Zwangsexmatrikulation einen Job zu finden und bleiben. Für die meisten ist es nur ein kurzes Abenteuer, was die Verwaltung viel Zeit und Nerven kostet und für die Mitstudenten auch nicht angenehm ist. Sie halten das Niveau der Sprachkurse niedrig und bleiben hauptsächlich unter sich in Grüppchen. Ich habe leider noch mit keinem Chinesen gesprochen, der sich mir gegenüber auch nur ein bisschen geöffnet hätte. Ich verstehe, dass sie ihr volles Land mit guten Absichten und Vorstellungen verlassen und gerade in Russland wahrscheinlich enttäuscht werden. Durch ihre mangelnde Integrationsbereitschaft und ihrem Hang dazu, sich selbst als unerwünscht und Opfer zu begreifen, machen sie sich allerdings selbst das Leben schwer. Viele haben auch keine andere Möglichkeit, weil sie mangels Englisch nur auf Chinesisch kommunizieren können. Es gibt üblicherweise immer einen in der Gruppe, der etwas Russisch kann und bei gemeinsamen Gruppen-Behördengängen für alle übersetzt. Ich würde ja gern mal einen Chinesen dazu befragen, was er selbst denkt welche Auswirkungen die plötzlich gewonnene Freiheit hat, aber bisher stieß ich nur auf Standardfloskeln und Beschönigungen. Da hilft auch sämtliches Lob ihrer hervorragenden Kochkünste, die rund um die Uhr in der Wohnheimküche zu bestaunen und auf der ganzen Etage zu riechen sind, nichts. Ich brauchte durch die Hauptverkehrszeit 2,5 Stunden bis zu den Großeltern meines Schülers, wo ich den Wohnungsschlüssel abholen sollte. Sein interessanterweise mit dem I-Phone handelnder Opa war nicht da, was die Oma zu noch erhöhter Gastfreundlichkeit antrieb. Brot mit dicken Scheiben Butter und Kaviar. Eigene Ansichten von gesundem Essen. In der Wohnung angekommen fielen endlich die Gedanken an bevorstehende Tätigkeiten und Notwendigkeiten von mir ab, die schon die ganze Woche mein Denken überlagerten. Ziel erreicht, aber keiner da. Die Familie ist aus Legoland in Deutschland, wo sie den Geburtstag des Jungen gefeiert haben, nicht direkt wieder nach Russland zurück, sondern zu einem Tennisturnier in die Türkei geflogen. Ist mir ganz recht, so kann ich mich vor dem Intensivkurs Deutsch erst noch wieder akklimatisieren, die Stadt genießen und meine Freunde treffen.


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