Touch the screen for complete healing

Mittwoch, den 27. April 2011 – Thomas

Wie ich so durch die leeren Gänge der Schule schleiche und die vielen Türen hinter mir zuschließe, komme ich mir vor wie ein Nachtwächter in der Geschlossenen. Die Stimmung erinnert an Terminator 2, kurz bevor der T1000 seinen spitzen Finger durch den Kaffeebecher und das Auge des Nachtwächters piekst. Die ganze Woche lang begehen meine Kollegin und ich das Hauptgebäude des Gymnasiums. Ein Gymnasium, das regelmäßig einen Preis für den besten berufsorientierten Unterricht gewinnt. Die bieten hier alles an. Vom Friseurberuf, über Schreiner, Visagist, Beleuchtung, Ton, Musik, Fotografie, Film, Design, Mode und Kunst in jeglicher Form, bis hin zum kompletten Theaterprogramm. Bisher habe ich keinen Hinweis dafür entdeckt, ob das wesentlichste, die Mathematik, überhaupt unterrichtet wird. Alles ist Mathematik, das könnte ich hier mal an die gewischten Tafeln schreiben. Reality Bites.

Während der Arbeit versuche ich Julia bis 10 Uhr 30, der von ihr auferlegten Deadline, gute Neuigkeiten zukommen zu lassen. Nichts. Weder meldet sich der Mittelsmann, noch sonst irgendwer, der in die Problematik eingeweiht ist und tatkräftige Unterstützung zugesagt hat. Konnte man die Bitte missverstehen, wurde der Sachverhalt nicht klar genug vermittelt?
Es handelt sich doch nur um eine einzige Mail. Seit zwei Wochen warten wir auf „den Wisch“, wie wir das Dokument herabwertend bezeichnen, allein schon um der Situation gerecht zu werden. „Der Wisch“ wurde für so manche Doppelnull offensichtlich zu einem Geheimdokument. Zu komplizierte Wege, zu viele Fehleinschätzungen der Situation, dabei ist der Inhalt bereits vorformuliert und sämtliche Hintergrundinformationen sind vorhanden. Die Zeit wird knapp und das Hingehalte lästig.

10 Uhr 30. Nichts. So müssen sich Weltuntergangsfanatiker nach dem Tag ihrer ausbleibenden Prophezeiung fühlen. Julia improvisiert mit etwas spontaner Hilfe das geforderte Dokument zusammen. Hoffen wir, dass es funktioniert. Morgen wissen wir mehr. Dem nächsten, der mich um etwas bittet, sage ich entschieden ab. Ich bürge sowieso viel zu schnell für viel zu viele Dinge.

Zu Hause stopfe ich die Waschmaschine mit Handtüchern voll und kippe oben das restliche Waschpulver hinein. Wirklich hartnäckig dreckig darf bei mir nie etwas werden, sonst gerate ich schnell an meine Grenzen. Zu der Doppelfolge Simpsons mache ich mir Hawaii Toast. Mittlere Schiene. Simpsons schauen und dabei dick werden, mein einziges Ritual am Tag.
Meine Mutter ruft an, das am Montag per Handschlag erstandene Rad vom Rainer steht im Garten. Meine Eltern haben es mit nach Bremen gebracht, als sie heute in der Nähe einen Klinikaufenthalt hatten. Zur Feier des Rades bringe ich Pfandflaschen weg.

Ich packe für morgen die Sporttasche und verfolge im Live Stream das Spiel Real Madrid gegen den FC Barcelona. Das Ergebnis entspricht genau meiner allgemeingültigen Voraussage, was jedes Clasico betrifft. Barcelona gewinnt dank Messi, dazu gibt es ein paar rote Karten auf beiden Seiten. Alle anderen Ergebnisse sind nur zufällig herbei getreten.

Ich kann nicht schlafen. In der LateLine geht es um Depressionen. Über das Thema hört man immer das Gleiche. Erst ging gar nichts mehr, dann kam die Diagnose, darauf die Therapie und nun geht es einigermaßen wieder. Um im Radio vorzusprechen, langt es jedenfalls. Trotz oder gerade wegen des ständigen Mitgefühleinfordernden Untertons, ich hätte jetzt auch tot sein können. Manchmal glaube ich, viele der Depressiven haben gar keine Depressionen, sondern deren Leben verlaufen einfach nur beschissen. Die Aussage, darüber macht man keine Witze, kommt in solchen Fällen schon einem Todesurteil gleich. Humor als AusWeg.


0 comments so far.

Und? Sag was!