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(M)Eine Nacht mit Morrissey

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Erst spät stieß ich auf Morrissey und The Smiths, etwa 2008 muss es gewesen sein, aber seitdem besteht eine sehr intensive Liebe und schon lange war es ein großer Wunsch, ihn mal live zu sehen. Bei der letzten Tour kam er leider nur nach Berlin, was ich aus Vernunftsgründen nicht wahrnehmen konnte, aber nun stand Essen auf der Liste und ich kaufte fast sofort ein Ticket, obwohl ich mich erst mal noch über die hohen Preise ärgern musste. Kurz nach dem Ticketverkauf wurde bekannt, dass Morrissey an Krebs leide und die Ärzte ihm abraten, diese Tour zu spielen.

Das Konzert fand im Colosseum Theater in Essen statt, eine alte Industriehalle, die bereits im riesigen Foyer ordentlich Eindruck macht. Ich erinnerte mich dunkel, dass ich vor über 10 Jahren mal hier war und das Musical Elisabeth besuchte. Ich bin nicht so der Musical-Typ, aber so Dinge passieren einfach. Unter den Besuchern finden sich ziemlich viele Morrissey-Look-a-Likes: Die Haartolle und eine ziemliche hohe Dichte an Ray Bans. Die meisten sind älter bis alt, es wird geraucht, sie fachsimpeln hochtrabend über Bowie, Bono und Depeche Mode. Diese Art von Fans. Ich mag’s. Der Saal ist übersichtlich groß und mit roten samtigen Theaterstühlen bestückt. Ich freu mich auf entspanntes Sitzen und hole mir noch ein Shirt und ein Bier.

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Am Eingang ruft ein PETA-Stand zum Veganismus auf. Ich winke erst mal ab, aber der Flyer ist cool. Hatte ich doch schon daran gedacht, noch bei McDonald’s vorbeizufahren, weil ich, direkt aus dem Büro kommend, noch kein Abendessen hatte. In der Halle gab es nichts zu essen. Am Vortag, beim Konzert in Berlin, gab es Tofuwürstchen, „auf besonderen Wunsch des Künstlers“. Hätte ich auch mit leben können.

Die Vorband macht Anna Calvi, über die ich vorher noch schnell was in Wikipedia las, sie aber sonst nicht kannte. Sie schien zu wissen, was sie tut, hatte es handwerklich einfach drauf, das lag auf der Hand: eine tolle Stimme und spielte richtig cool Gitarre. Einige Lieder und einzelne Soli fand ich ziemlich gut, aber so insgesamt war es glaub ich einfach nicht so meins. Vielleicht muss man sich nur mehr Zeit nehmen. Ich fand es auch zu laut. Übrigens finde ich es immer ziemlich Banane, sich Ohropax auf ein Konzert mitzunehmen, aber ich weiß von Leuten, die sich schon einen üblen Tinnitus eingefangen haben. Vermutlich muss einem sowas aber erst mal passieren, bis man das lernt.

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Bis zum Hauptact wurden alte Musikvideos aus den 60ern und 70ern auf einer großen Leinwand gezeigt. Die Ramones, Chris Andrews, viel Schlaghose und Glitter, einige Drags und Schnipsel aus alten britischen Comedysendungen. Das fand ich richtig gut und mal was anderes als nur Hintergrundgedudel.

Dann betritt endlich the one and only Moz die Bühne! Alle stehen sofort jubelnd auf, nix mit sitzen, war ja klar. Der erste Song ist dann auch noch Suedehead [YouTube]! Er wirkt erstaunlich fit, sah er doch auf dem Album-Cover etwas moppelig, träge und alt aus. aber keine Spur davon. Natürlich spielt er viele Songs vom aktuellen Album, die ich jetzt nicht so übermäßig super finde, aber trotzdem ist es ein großartiges Konzert mit einem gut gelaunten Morrissey, der übrigens eine beeindruckend gute Stimme hat!

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Mein persönliches Highlight des Abends, neben Suedehead, wird How Soon Is Now? [YouTube] – der Klassiker, einer der besten Songs ever und live grandios umgesetzt mit einer riesigen Trommel (Pauke? irgendsowas halt). Den Song live gesehen zu haben – unbezahlbar!

Zu Meat Is Murder [YouTube] werden auf der Leinwand ziemlich üble Aufnahmen aus Schlachthöfen gezeigt, wie Tiere getötet und massiv misshandelt und gequält werden. Ich denke an meinen Burger, fühle mich schlecht. Vielleicht ist es auch nur der Kreislauf, weil ich echt was essen muss. Egal, ich kann es mir nicht gut ansehen, es sind wirklich krasse Bilder. Ob das nun die Realitätsverdrängung eines Fleischfressers ist, who knows.

Bis zur ersten Zugabe hat Morrissey etwa 90 min gespielt – keine Selbstverständlichkeit, wie man schon gelesen hat. Brach er doch zuletzt die Show in Warschau nach 25 min ab, nachdem er von einem Fan im Publikum angepöbelt wurde. Vor der Zugabe sagt er „Remember Me, Forget my Fate“ und es beginnt Everyday Is Like Sunday [YouTube], ein weiterer Klassiker – alle jubeln begeistert! Doch als der zu den ersten Tönen ansetzen will, stürmen irgendwelche Vollidioten auf die Bühne und die Security-Gorillas haben große Mühe, sie von der Bühne zu halten. Morrissey verlässt die Bühne, die Musik hört auf, das Licht geht an. That’s it!

Ein beknackteres Ende einer Show hätte es fast nicht geben können. Alle sind enttäuscht und wütend. Ich hoffe, die Spinner wurden draußen noch vom wilden Mopp gelyncht, aber sowas darf man vermutlich nicht schreiben. Es ist auch nichts passiert :P

Am Ausgang geh ich noch mal zum PETA-Stand. Ich nehme eine paar Flyer mit, kann ja nicht schaden, sich mehr damit zu beschäftigen. Ich spende 1 Euro und nehme einen Button gegen Pelz mit. Veganer werd ich nämlich trotzdem nicht.

Auf dem Rückweg fand ich keinen McDonald’s mehr.

>> Setlist
>> Artikel in Der Westen mit Fan-Video vom Show-Abbruch


6 comments so far.

6 Antworten zu “(M)Eine Nacht mit Morrissey”

  1. kaddinat0r sagt:

    Die Location sieht echt geil aus, ich war da leider noch nie drin. Ich hör Morrissey selber nicht, aber find es etwas banane, dass man ein Konzert abbricht, weil Fans auf die Bühne wollen um dem Star nah sein. Sorry, aber damit muss man als Musiker nun mal rechnen.

  2. Thomas sagt:

    Olli Schulz und Böhmi waren auch auf dem Konzert. Dazu gibt es doch bestimmt am Sonntag bei Sanft und Sorgfältig einen Kommentar.

  3. Julian sagt:

    Mir geht ja diese Veganerwerbung ziemlich auf den Sack. Tofuwürstchen würde für mich z.B. bedeuten, nichts essen zu können (Lebensmittelunverträglichkeit). Ich habe überhaupt kein Problem mit anderen Essgewohnheiten, aber Missionierung stößt mir immer auf, egal von welcher Seite aus.
    Smiths finde ich übrigens ganz gut, einige Songs sind ziemlich toll und Morrisseys Stimme ist so oder so erhaben.
    Ich empfehle dir einfach mal Hearsafe. Das sind Ohrstöpsel, die knapp 20 € kosten. Drei verschiedene Filter liegen bei, der Frequenzgang bleibt neutral und filtert lediglich schädliche Frequenzen raus. Alles klingt etwas leiser, dafür bist du aber ideal geschützt. Viel besser als Oropax. Und man kann sie reinigen. Ich stehe ja immer in der ersten Reihe oder bin direkt im Graben, da muss man dann nicht auf die Ohren achten.

  4. Verena sagt:

    @kaddinator: Nun ja, Herr Morrissey ist schon ziemlich eigen, das ist bekannt. Aber auf der anderen Seite wäre ich vermutlich auch geflüchtet, wenn da so Spinner auf mich zu rennen… die Security war irgendwie auch nicht so super-kompetent und vielleicht wäre es weiter eskaliert. Naja, sehr blödes Ende jedenfalls! (Interessanterweise wurden am Eingang auch nicht mal die Taschen kontrolliert.)

    @Thomas: Sehr cool! Muss den Podcast dringendst nachholen, dann bin ich auch mal auf die nächste Folge gespannt! (Gesehen hab ich sie beim Konzert leider nicht :P)

    @Julian: Dass er Tierschützer ist und bereits einige krasse Aussagen machte, war mir ja bekannt Grundsätzlich: Jeder, wie er meint! Aber mich braucht auch keiner missionieren. Weder mit Essen, noch mit Religion. Im Gegenzug mach ich das auch nicht mit meiner politischen Meinung/Aktivität, obwohl ich das manchmal auch gerne würde :D Soll PETA da stehen, die machen ja auch ne wichtige Arbeit und irgendne Charity findet man ja heute auf jedem Konzert. Hab mir deren Flyer inzwischen aber mal angeschaut und sie sind mir zu radikal („Milch tötet“ usw). Ebenso war das gezeigte Video zu Meat is Murder zu krass und vielleicht auch zu einseitig dargestellt. Aber ich war ja wegen der Musik da. Und als U2-Fan bin ich auch nicht gläubig :P

    Die Hearsafe guck ich mir an, das ist ein guter Hinweis. Nachdem ich jahrelang Leute mit Ohropax (oder Tempos im Ohr!) auf Konzerten immer belächelt habe… schon allein, weil ich es mir tonmäßig so dumpf vorstelle. Aber das klingt gut. („Klingt gut“ haha), vielleicht macht es tatsächlich Sinn.

  5. Julian sagt:

    http://www.thomann.de/de/alpine_musicsafe_prosilver_edition.htm?sid=9f32061b2ba7687afd27b38e752725b7

    Das sind die Teile. Ich schwöre drauf. Die stören auch so gut wie nicht im Ohr und wie bereits erwähnt: Die Frequenzen werden so abgesenkt, dass die Musik so klingt, wie ohne Stöpsel.

  6. […] Morrisseys Konzert im Palladium in Köln mit und musste natürlich sofort ne Karte kaufen. Bereits letztes Jahr in Essen war es ein absolutes Highlight für mich, ihn mal live zu […]

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